Rosenkranz und Güldenstern sind tot

Am Nationaltheater Weimar (2002)

Peter Müller und Stefan Wey

von Tom Stoppard

Kritiken

Blut, Liebe, Tempo und Rhetorik

Es ist eine Geschichte in der Geschichte einer Geschichte. Bei Tom Stoppards "Rosenkranz und Güldenstern sind tot geht es zum einen um Shakespeares "Hamlet", zum anderen um zwei Männer, die sich so ähnlich sind wie fremd. Die sich im Spiel des "Hamlet" ebenso verirren wie im Leben. Ihre philosophische Rhetorik ähnelt den Plaudereien von "Warten auf Godot”. Und es geht ihnen dabei um Leben und Tod, ums Sterben an sich und um die Frage, ob wir alle nur Marionetten sind. Wer sind wir? Wo gehen wir hin? Wer lenkt uns? Was soll aus uns werden? Antworten gibt's nicht.

Die Inszenierung von Horst J. Lonius (Kostüme: Klaus Noack) zeigt alle Figuren bewußt in ihrer bezaubernden Hilflosigkeit. Denn sie wissen nicht, was sie tun. Oder doch? Das amüsiert
den Betrachter. Ha, da kann er sich selbst sehen, in seinem ständigen zwecklosen Bemühen um Aufklärung der Dinge. Was doch sehr traurig ist. Damit das alles aber nicht so traurig aussieht, wie es ist, wird's in alte und neue Geschichten verpackt. Die sind auch traurig, und ebenso paradox wie das Leben.

Da sind die beiden (äußerst lebendigen) Figuren Rosenkranz (Peter Müller) und Güldenstern (Stefan Wey). Sie sind den Tragöden gegenüber gestellt, die wie Außerirdische anmuten und die dann so was wie Regie führen. Auch für eine weitere Geschichte, die sich um Hamlet, Königin, König und Polonius rankt. Die wird beeindruckend, durch Masken und (herrliche!) Puppen, im rechten Licht (Hannelore Fial) wieder gegeben. Und schon fragen sie sich gegenseitig Löcher in den Bauch und geben sich gleichzeitig logische wie unlogische Antworten: Wo befinden wir uns hier? Wir sind Schauspieler, wir sind das Gegenstück des Menschen...

Der Abend verläuft fesselnd in der rhetorischen Auseinandersetzung, da alle immer in Aktion sind. Die Sprache, auch der Spaß an der Rhetorik wird gekonnt umgesetzt in regelrechte und doch feinfühlige Action. Da ist auch ein Fischbassin, in das ständig langsam aber sicher
Wasser fließt. Der Kreislauf (des Lebens) ist perfekt.
Gearbeitet wird mit Tafel, Benzinkanister, Jacken, Schuhen, Stoffen, Stangen, Kasperletheater und vielem mehr. Phantastische Ergänzungen aller bilden Spitzen-Timing, im Spiel, im Rennen, im Klettern, im Dialog. Wobei Peter Müller als Rosenkranz den Part des Lockvogels übernimmt. Einer muß schließlich der Looser sein... - Spitze!
Was wir zwischen Rhetorik, Blut und Liebe erleben, ist so köstlich wie erschreckend zugleich. Während des durchgängigen zweistündigen Spiels wird vor allem eines klar. Wir sind doch alle wirklich nur Kinder – Kinder dieser Welt.

“Man handelt auf Verdacht”, das ist die Valuta des Lebens, meint Rosenkranz fast am Ende. Oder wars Güldenstern?
Egal. Wir wissen jetzt, das Leben ist (k)ein Spiel, und doch
sind wir alle nur Schauspieler, Akteure, Marionetten, Puppen………Oder? Sylvia Obst

DONNERSTAG, 21. FEBRUAR 2002

SCHAUSPIEL

Eine Reise in den Tod

Als schwarze Komödie voller Wortwitz präsentiert Horst.-J. Lonius in Weimar Tom Stoppards "Rosenkranz und Güldenstern sind tot". Eine hochkarätige Ergänzung zu "Hamlet"-Aufführungen in Kassel, Göttingen und Weimar im letzten Jahr.

WEIMAR' Die Nordsee ist ein Aquarium, in dem Hamlet-Begleiter Rosenkranz mit den Armen herumrudert, spritzend und fluchend, während sein Kumpan Güldenstern ihm eifrig assistiert. Es ist eine Reise nach England und in den Tod, auf der sie sich befinden - vorgesehen vom dänischen Hof für Prinz Hamlet, der lästige Fragen stellte. Doch der vertauscht den Brief mit dem Todesurteil. So werden wohl die Boten sterben müssen.
Mit Tod, Sterben und Vergänglichkeit, auch mit der Frage “Wer sind wir?" befasst sich dieses Stück, das aber nicht nur schwarz und bitter, sondern auch clownesk und derb-komisch daherkommt. Tom Stoppard, der aus der Tschechoslowakei stammende britische Dramatiker, der sich in den letzten Jahren mehr dem Drehbuchschreiben zuwandte ("Shakespeare in Love", "Enigma"), hat hier - in dem Stück, das-ihn berühmt machte - seiner Shakespeare-Obsession freien Lauf gelassen. Das komplexe Spiel auf mehreren, einander überschneidenden Bewusstseinsebenen, die Lonius in Weimar geschickt miteinander verknüpft, strahlt teilweise eine absurde, aber auch artistisch pointierte Komik aus, ähnlich wie Becketts " Warten auf Godot".

Kindlichkeit

Das Duo Rosenkranz (Peter Müller mit an Chaplin erinnernder, rührender Kindlichkeit und tänzerischer Anmut) und Güldenstern (Stefan Wey, so muskulös-imposant wie zungenfertig) ist bei Stoppard vom Rand des Geschehens ins Zentrum katapultiert worden, zu einem Paar eigenständiger Individuen mit einer homoerotischen Beziehung.
Sie agieren in einem imaginativen, von der Realität gleich weit entfernten Raum, der theatralischen Irgntasie wie die von ihnen (und damit auch dem Publikum) albtraumhaft in vorüberhuschenden Szenenfetzen wahrgenommenen Shakespeare-Figuren.

Immer wieder kommt es an den Schnittstellen zu spukhaften Bekegnungen. Hamlet und Ophelia jagen über die Bühne, im Hintergrund werden das dänische Königspaar und Polonius
auf Gleitschienen in weißen Drahtkäfigen vorbeigerollt, als lebensgroße Puppen, die von Schauspielern manipuliert sind - eben jenen, die auf einer anderen Ebene auch die "Schauspielertruppe" Hamlets am dänischen Königshof sind (Alexander Steindorf, Matthias Trautmann und Juliane Elting, agil und blitzschnell changierend in den Doppelrollen).

Die facettenreiche Inszenierung auf der Weimarer-Studiobühne - die farbigen, sinnvoll symbolischen Kostüme entwarf (Klaus Noack) - machte einmal mehr deutlich, in welch hohem Maße Shakespeare bis heute Fundament auch des deutschen Theaters seit der Klassik und
Romantik ist, jener Zeit, deren Übersetzungen seiner großen Dramen sprachlich bis heute kaum übertroffen werden konnten. Stoppards souveränes Spiel mit "Hamlet"-Assoziationen, aber auch der überströmende Wortwitz wären wohl sonst nicht auf solche enthusiastische Zustimmung des Publikums gestoßen.Wer in den letzten beiden Spielzeiten"Hamlet" in Kassel, Göttingen oder Weimar gesehen hat, wird dieses Kontrastprogramm besonders genießen.
Claudia Sandner-v.Dehn

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